Winter 2024/25 — Seminar
Verantwortlich für diese Lehrveranstaltung ist Marc Technau.
(Auf Grund hoher Anmeldezahlen wird ein zweites Seminar von Fabian Gundlach angeboten.)
Beschreibung
Zielsetzung dieses Seminars ist es, verschiedene mathematische Ergebnisse kennen zu lernen, die prinzipiell mit Schulwissen greifbar scheinen. Die Themen (siehe unten) sollen dabei von den Teilnehmenden ausgearbeitet und präsentiert werden.
Zielgruppe
Studierende der Studiengänge Master Lehramt (Mathematik) für Gymnasien, Gesamtschulen und Berufskollegs.
Themen
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Determinanten, Volumina und Cramer:
Es sollen Determinanten für \(2{\times}2\)- und \(3{\times}3\)-Matrizen und deren geometrische Bedeutung mit Schulmethoden erläutert werden.
Daraus soll in geometrisch motivierter Weise die Cramersche Regel für \(3{\times}3\)-Systeme abgeleitet werden. (Literatur: Jedes gute Lehrbuch zur Linearen Algebra und [Nelsen, Seite 67], woraus auch die obige Skizze entnommen ist; Siehe auch [Nelsen, Seite 158].) -
Sangaku:
Bei Sangaku handelt es sich um (zumeist) geometrische Probleme, welche in japanischen Tempeln und Schreinen auf Holztafeln als Herausforderung für Besuchende platziert wurden.
Hier ist ein Beispiel:
(Entnommen aus [Hidetoshi, Seite 99]. Das große Dreieck sei rechtwinklig, das kleine graue Dreieck sei gleichseitig und bei dem Rechteck mit den zwei gestrichenen Seiten handle es sich um ein Quadrat.) Für dieses Seminarthema sollen einige Sangaku für den Gebrauch im Unterricht aufgearbeitet werden. (Literatur: [Hidetoshi].) -
Euler-Formel für planare Graphen:
Die Formel von Euler besagt, dass für jeden zusammenhängenden planaren Graphen mit \(n\) Ecken, \(v\) Kanten, welcher die Ebene in \(f\) Zusammenhangskomponenten zerteilt, die Beziehung \[ n - v + f = 2 \] gilt.
Es soll dieser Satz vorgestellt und bewiesen werden.
(Literatur: [Aigner, Goldmakher]; Topologische Feinheiten im Bezug auf den Jordanschen Kurvensatz dürfen ausgeblendet werden.)
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Satz von Pick:
Der fragliche Satz berechnet die Fläche \(A\) eines jeden einfachen Gitterpolygons (im Einheitsgitter) mittels der Anzahl \(I\) der Gitterpunkte im Inneren und der Anzahl \(R\) der Gitterpunkte auf dem Rand als \(A = I + R/2 - 1\).
Hier soll dieser Satz vorgestellt und bewiesen werden.
(Literatur: [Aigner, Schmitz].)
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Satz von Wallace–Bolyai–Gerwien:
Je zwei flächengleiche einfache Polygone sind scherenkongruent: Man kann eines der Polygone durch Schnitte in Teilpolygone zerlegen, aus welchen sich das jeweils zweite Polygon zusammensetzen lässt.
Beispielsweise kann man das obige Polygon so in Dreiecke zerschneiden, dass man aus den Dreiecken ein Rechteck mit Seitenlängen \(3\) und \(9\) zusammensetzen kann:
(Literatur: [Devadoss], [Hartshorne, Ch. 5, § 24] und [Aigner, Ch. 40] für die Existenz von Triangulierungen.) -
Dehns Lösung von Hilberts Drittem Problem:
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte David Hilbert eine einflussreiche Liste von 23 bis dato ungelösten Problemen vor.
Eines dieser Probleme, — ob sich der Satz von Wallace–Bolyai–Gerwien auf Polyeder verallgemeinern ließe — konnte wenig später von Max Dehn verneinend beantwortet werden.
Dazu erfand er die mittlerweile nach ihm benannte Dehn-Invariante, die jedem Polyeder ein Element der abelschen Gruppe \(\mathbb{R}\otimes_{\mathbb{Z}}(\mathbb{R}/\pi\mathbb{Z})\) zuordnet.
Mit jener lässt sich etwa zeigen, dass volumengleiche Würfel und Tetraeder nicht scherenkongruent sind.
In diesem Thema, soll jener Sachverhalt erklärt und begründet werden.
(Literatur: [Hartshorne, Ch. 5, § 27].)
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Pizza-Theorem:
Der folgende von Upton entdeckte Satz kann von zwei Personen benutzt werden, um sich eine Pizza fair zu teilen:
Man wähle einen Punkt auf einer Kreisscheibe und zerteile selbige Scheibe mittels vier geradliniger Schnitte durch jenen Punkt in acht Stücke, wobei die Schnittwinkel jeweils um 45 Grad zunehmen mögen.
Dann ist die Summe der Flächen jedes zweiten Stücks genau die Hälfte der Gesamtfläche.
(Literatur: [Apurv, Carter]; Siehe auch [Lawson-Perfect].) -
Pythagoreische Tripel:
Bei diversen handwerklichen Arbeiten ist der folgende Trick zur Konstruktion eines rechten Winkels hilfreich: Man messe Strecken mit jeweils \(3\), \(4\) und \(5\) Längeneinheiten und bilde aus diesen ein Dreieck.
Jenes Dreieck ist dann rechtwinklig.
Im Hintergrund steht der Cosinussatz und die Eigenschaft von \((3,4,5)\) eine Lösung von \(X^2 + Y^2 = Z^2\) zu sein.
Lösungen jener Gleichung in den natürlichen Zahlen sind als Pythagoreische Tripel bekannt.
In diesem Vortrag sollen alle solche Tripel mit Hilfe einer geometrischen Methode von Bachet bestimmt werden.
(Literatur: [Oswald, § 7.2].)
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Mittelwertsatz:
Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist das fundamentale Bindeglied zwischen den Werten einer Funktion und derer ihrer Ableitung.
In diesem Vortrag sollen einige besonders durchsichtige Argumente vorgestellt werden, mit denen man aufbauend auf dem Intervallschachtelungsprinzip zunächst den Monotoniesatz und sodann den Mittelwertsatz erhalten kann.
(Literatur: [Tucker]; Siehe auch [de Camargo].)
- Transzendente Zahlen: Komplexe Zahlen, die nicht Nullstelle irgendeines Polynoms \(\neq 0\) mit rationalen Koeffizienten sind, nennt man transzendent. Hier soll ein Ergebnis von Liouville vorgestellt werden, mit dem sich einfach transzendente Zahlen hinschreiben lassen; Zum Beispiel: \[ \sum_{n=1}^\infty \frac{1}{10^{n!}}. \] Anschließend soll der Satz von Hermite bewiesen werden: Jener proklamiert die Transzendenz der Eulerschen Zahl \(e = \exp(0)\). Mit ähnlichen, aber schwierigeren Argumenten lässt sich auch die Transzendenz von \(\pi\) nachweisen. (Literatur: [Murty, Ch. 1–3]. Siehe auch [Aigner, Ch. 8].)
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Überhang:
Ein bekanntes Rätsel fragt, ob man quaderförmige Bausteine so stapeln kann, dass diese beliebig weit über eine Tischkante hinaus ragen und die gestaplete Konstruktion nicht umfällt.
Die Standardlösung bejaht dies (in einem physikalisch idealisierten Modell) mittels um jeweils \(\propto 1/n\) (\(n=1,2,3,\ldots\)) verschobenen Bausteinen und unter Berufung auf die Divergenz der harmonischen Reihe \(\sum_{n=1}^\infty 1/n\).
Für dieses Thema soll eine Arbeit von Paterson et. al. [Paterson1] besprochen werden, welche die Frage stellt, wie weit man wirklich über die Tischkante hinaus kommt, wenn man \(N\) Bausteine zur Verfügung hat.
(Literatur: [Paterson1]. Siehe auch [Paterson2, Zwick]. Im Bezug auf die Beweise kann zwischen § 3 und § 4 in [Paterson1] ausgewählt werden.)
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Green–Riemann:
Die einfach geschlossene, glatte Kurve \(\gamma = (f,g)\colon [0,1] \to \mathbb{R}^2\) möge die beschränkte Menge \(K \subset \mathbb{R}^2\) beranden.
Ein Spezialfall der Formel von Green–Riemann liefert den Flächeninhalt von \(K\) als Integral über seine Randkurve:
\[
\operatorname{area}(K)
= {\iint_K \mkern -2mu 1 \mathrm{d}^2\boldsymbol{x}}
= \pm \frac{1}{2} {\int_0^1 (f(t)g'(t) - g(t)f'(t)) \mathrm{d}t}.
\]
(Das Vorzeichen „\(\pm\)“ lässt sich durch Festlegung einer geeigneten Orientierungskonvention fixieren.)
In diesem Vortrag soll diese Formel motiviert und bewiesen werden.
Dabei soll auch auf Subtilitäten im Bezug auf „Teilung der Eins“ eingegangen werden.
(Literatur: Das steht alles bei Forster [Forster, § 15, insb. Satz 4 und auch § 21, (21.1)], aber man sollte hier die allgemeine Theorie möglichst auf den konkreten Spezialfall reduziert vorstellen.)
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Problem der Dido:
Das Problem der Dido (auch als Isoperimetrisches Problem bekannt) fragt — in modernerer Sprache — danach, mit welcher Kurve im \(\mathbb{R}^2\) von vorgegebener (fixierter) Länge \(L>0\) man die maximale Fläche umschließen kann.
Die Antwort ist — vielleicht wenig überraschend(?) — die Kreislinie mit Länge \(L\) und beliebigem Mittelpunkt.
Beweise dieser Aussage sind allerdings alles andere als trivial.
Hier soll ein auf Hurwitz zurückgehender Beweis in einer Variante von Hardy–Littlewood–Pólya, welche Fourieranalysis vermeidet, vorgestellt werden.
(Literatur: [Hardy–Littlewood–Pólya, § 7.7]. Siehe auch [Montgomery, § 9.4] für die Variante mit Fourieranalysis und [Blåsjö] für eine bessere historische Einordnung.)
Literatur
- M. Aigner und G. Ziegler. Proofs from THE BOOK. Berlin: Springer, 6. Ausgabe, 2018.
- Apurv. Proof of the Pizza Theorem. Mathematics Stack Exchange, 2013.
- V. Blåsjö. The isoperimetric problem. Am. Math. Mon., 112 (6): 526–566, 2005.
- L. Carter und S. Wagon. Proof without Words: Fair Allocation of a Pizza. Math. Mag., 67 (4): 267, 1994.
- A. P. de Camargo. The geometric mean value theorem. Int. J. Math. Educ. Sci. Technol., 49 (4): 613–615, 2018.
- S. Devadoss, Z. Epstein, und D. Smirnov. Visualizing scissors congruence. In 32nd international symposium on computational geometry, SoCG'16, Boston, MA, USA, June 14–17, 2016. Proceedings, Band 49(4). Wadern: Schloss Dagstuhl – Leibniz Zentrum für Informatik, 2018. Id/No 66; Siehe auch https://dsmirnov.me/scissors-congruence.
- O. Forster. Analysis 3. Maß- und Integrationstheorie, Integralsätze im \(\mathbb{R}^n\) und Anwendungen. Wiesbaden: Springer Spektrum, 8. Auflage, 2017.
- L. Goldmakher. The Euler characteristic of a graph. 22.07.2024 (Abrufdatum).
- G. H. Hardy, J. E. Littlewood, und G. Pólya. Inequalities. Cambridge, Engl.: Universitätsdruckerei, 2. Ausgabe, 1952.
- R. Hartshorne. Geometry: Euclid and beyond. Berlin: Springer, 2000.
- Fukagawa Hidetoshi und T. Rothman. Sacred mathematics. Japanese temple geometry. With a foreword by Freeman Dyson. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2008.
- Ch. Lawson-Perfect. Proof without words of the pizza theorem. 2015.
- H. L. Montgomery. Early Fourier analysis. Providence, RI: American Mathematical Society, 2014.
- M. R. Murty und P. Rath. Transcendental numbers. New York, NY: Springer, 2014.
- R. B. Nelsen. Beweise ohne Worte. Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Nicola Oswald. Heidelberg: Springer Spektrum, 2016.
- N. Oswald und J. Steuding. Elementare Zahlentheorie. Ein sanfter Einstieg in die höhere Mathematik. Heidelberg: Springer Spektrum, 2015.
- M. Paterson und U. Zwick. Overhang. Am. Math. Mon., 116 (1): 19–44, 2009.
- M. Paterson, Y. Peres, M. Thorup, P. Winkler, und U. Zwick. Maximum overhang. Am. Math. Mon., 116 (9): 763–787, 2009.
- M. Schmitz. Strukturgenetische didaktische Analysen zum Satz von Georg Pick und zu Gleichungen vom Grad größer als zwei. Dissertation, Europa-Universität Flensburg, 2014.
- T. W. Tucker. Rethinking rigor in calculus: The role of the mean value theorem. Am. Math. Mon., 104 (3): 231–240, 1997.
- U. Zwick. Jenga. In Proceedings of the 13th annual ACM–SIAM symposium on discrete algorithms, SODA 2002, San Francisco, CA, USA, January 6–8, 2002, Seiten 243–246. Philadelphia, PA: Society for Industrial and Applied Mathematics (SIAM), 2002.